Kennen Sie den Roman «1984» von George Orwell? Darin entwirft der Autor aus Sicht der Nachkriegszeit eine totalitäre Zukunft im Jahr 1984, in der Überwachung und Steuerung durch den Staat dominieren. Zentrales Machtelement dieses Unrechtsstaates ist eine eigene Sprache, im Roman «Neusprech» genannt. Ihre Funktion ist, Fakten zu verfälschen und die Gedanken der Menschen zu beeinflussen.
Der Roman ist auch aus heutiger Sicht lesenswert. Gerade die Instrumentalisierung der Sprache durch die Mächtigen gibt zu denken. In einer Demokratie können politische Ziele nur durch den Einsatz von Sprache erreicht werden. Umso mehr ist es auffällig, wenn politische Akteure versuchen, Tatsachen begrifflich zu verschleiern und die öffentliche Meinung damit ungebührlich zu beeinflussen.
Der Stadtrat von Zürich lieferte dafür zuletzt unschöne Beispiele. Zwei davon betreffen den Entwurf des kommunalen Richtplans. Darin hat der Stadtrat angekündigt, den historischen Parkplatzkompromiss «weiterentwickeln» zu wollen. Er will zehn Prozent der Parkplätze in der Innenstadt ersatzlos streichen. Damit kündigt der Stadtrat den Kompromiss in Tat und Wahrheit einseitig auf. Denn einen Kompromiss kann man gar nicht ohne Zustimmung der Gegenseite «weiterentwickeln».
Nächstes Beispiel, ebenfalls aus dem kommunalen Richtplan: Der Stadtrat will die Qualität und den «Zugang» zu privaten Freiflächen «verbessern». Hier meint der Stadtrat nichts anderes, als dass Gärten, Innenhöfe und Dachterrassen nicht mehr private Rückzugsräume sein sollen, sondern für alle öffentlich gemacht werden. Warum nennt man die Dinge nicht beim Namen?
Drittes Beispiel: Ende November verschickte die Stadt eine Medienmitteilung mit dem bemerkenswerten Titel «Platz in Parkhäusern – Artikel des Tages-Anzeigers bestätigt die Stadt». Darin wird auf eine Analyse zu den freien Parkplätzen in Parkhäusern Bezug genommen. Diese wird gelobt, gleichzeitig die Zeitung dafür getadelt, Stadträte nicht ordentlich zitiert zu haben. Mit etwas Humor wäre diese Medienmitteilung als Satire zu lesen. Nimmt man sie ernst, bleiben Fragen offen: Kommentiert der Stadtrat jetzt jeden Medienartikel? Kritisiert er Journalisten öffentlich?
Es geht hier nicht darum, zu übertreiben oder zu dramatisieren. Aber, was mir ein ernstes Anliegen ist: Wer so viel Macht hat, wie die politische Linke in Zürich, muss mit Sprache sorgfältiger umgehen. Dann wäre eine Aufkündigung eines Kompromisses keine Weiterentwicklung. Dann wäre eine Verallgemeinerung privater Gärten keine verharmlosende Verbesserung des Zugangs. Und eine dünnhäutige Kritik an den Medien würde in der Schublade bleiben.
Die Sprache sagt viel darüber aus, wie ernst die Mächtigen andere Meinungen und schliesslich das Volk nehmen. Die Sprache des Stadtrates ist nicht das „Neusprech“ von George Orwell, jedoch für mich zu oft „Nebelsprech“. Deshalb werden wir von der FDP weiterhin auf solche Sprachverirrungen, ob im Stadtrat oder im Gemeinderat, hinweisen und diese anprangern.
erschienen im „Züriberg“ vom 19. Dezember 2019, Seite 3: „Aus dem Gemeinderat“